Helga König im Gespräch mit Helmut Baltrusch, Gründer des "Forums Generation Zukunft"

Lieber Helmut Baltrusch, das Online-Magazin "Buch, Kultur und Lifestyle" wartet ab dem 1.1.2018 mit einer neuen Rubrik auf. Diese lautet "Interviews- Begegnungen mit Menschenfreunden im Netz".  Beginnen möchte ich das Dialog-Jahr 2018 in dieser Rubrik mit Ihnen. Sie sind der Initiator und Gründer des "Forums Generation Zukunft" und posten auf Twitter täglich Beiträge, die den Lesern vermitteln, worum es Ihnen und Ihrem Forum geht.

Helga König: Können Sie unseren Lesern zunächst mitteilen, wer Sie sind und was Sie bewogen hat, das Forum ins Leben zu rufen?

 Helmut Baltrusch
Helmut Baltrusch:  Als (Un-)Ruheständler, dessen Wiege vor 76 Jahren an der Spree stand, blicke ich auf eine sehr nachhaltige, schnelllebige und erfüllte Zeit mit 36 Berufsjahren als Diplom-Ingenieur und Betriebswirt in leitender und beratender Funktion zurück. Seit den 70er Jahren gelte ich durch die Einführung der multivalenten Solarheizung (Wärmepumpe und Sonnenkollektoren) als ein Pionier der erneuerbaren Energien. Seit 11 Jahren bin ich ehrenamtlich unterwegs, zunächst in der Rheingauschule in Geisenheim mit Unterrichtsvertretungen, Organisation und Durchführung der Nachmittagsbetreuung und Projektleiter von ausgezeichneten Schülerfirmen einschl. der Installation einer Solaranlage auf dem Schuldach. Danach setzte ich die Projektarbeit am heimischen PC mit der Gründung des Forums Generationenzukunft (FGZ) fort. Angesichts von der Entwicklung des Zeitenwandels mit weltweitem Klima-, Bevölkerungs-, demografischen und digitalen Wandel verfolgt das Forum das Ziel der Gestaltung einer nachhaltig lebenswerten Gegenwart und Zukunft bei freiwilligem Engagement im Miteinander, gesellschaftlichen Zusammenhalt, Begegnung, Bewegung und Zuwendung in intakter Umwelt mit weitsichtigem Generationendialog. Bei ganzheitlicher Betrachtungsweise möchte die generationenbewegte Initiative u.a. die Frage beantworten, wie wir heute und zukünftig leben wollen. 

  Helga König
Helga König: Wo haben Sie die Mitglieder ihres Kompetenzteams kennengelernt und welche gemeinsamen Ziele haben Sie sich gesetzt? 

Helmut Baltrusch: Das projektfähige Kompetenzteam lernte sich vor allem bei der Kooperation mit gemeinnützigen Institutionen, wie den Mehrgenerationenhäusern, der Zusammenarbeit in der Rheingauschule und beim geselligen Beisammensein mit einem Glas Wein kennen. Dabei wurde wert auf die Vertretung mehrerer, parteiunabhängiger Generationen und die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Tätigkeit gelegt. Das Forum pflegt auch den Kontakt zu vielen externen Mitstreitern, die sich seit einem Bürgerbegehren für bezahlbaren Wohnraum vor Ort für das Forum interessieren.

Helga König: Klickt man auf Ihrer Homepage das Wort "Miteinander" an, gelangt man auf eine Seite, auf der gleich zu Beginn zu lesen ist: "Das Miteinander betrifft und fördert den Zusammenhalt der Generationen zur Sicherung der Zukunft. Es ist gleichwohl die Sicherung der Solidarität der Generationen." Können Sie das, bitte an Beispielen erläutern? 

  Helmut Baltrusch
Helmut Baltrusch: Das täglich konsequent gelebte Miteinander als gesellschaftlicher Kitt im demografischen Wandel (die Gesellschaft wird älter, weniger und bunter) zeigt sich besonders in der Kooperation mit Mehrgenerationenhäusern der Region, dem initiierten Generationentreffpunkt von Jung und Alt im Stadtpark bei Bewegung und Begegnung, um gesund zu leben und zu bleiben, in der Zuwendung von Mensch zu Mensch der Familien- und Migrantenpatenschaften, der mitgegründeten stark nachgefragten Nachbarschaftshilfe, der Beratungshilfe für Menschen, die nicht mehr weiter wissen und gemeinsamen Geselligkeiten. Mit diesen Sozialprojekten für den Zusammenhalt wirken wir der zunehmenden Begegnungs-, Bewegungs- und Zuwendungsarmut einschließlich sozialer Kälte zwischen den Generationen entgegen.

 Helga König
Helga König: Scrollt man die Seite weiter nach unten, entdeckt man in einer Statistik, dass die sozialen Kontakte immer seltener werden. Konnte Ihr Kompetenzteam schon herausfinden, woran es liegt, dass sich beispielsweise Großeltern und Enkelkinder immer weniger sehen und auch welche Möglichkeiten es gibt, dass die unterschiedlichen Generationen wieder besser zueinander finden? 

Helmut Baltrusch: Das Auseinanderleben der Generationen ist eindeutig dem ausgeprägten Materialismus im Zeichen von Globali- und Digitalisierung und deren Folgen geschuldet. Viele Menschen sind in ihrem angeborenen, heimatlichen Umfeld nicht mehr integriert. Eigentlich sollte die gesellschaftliche Entwicklung nach unserem Grundgesetz zu gleichwerteigen Lebensverhältnissen bei größerer Unabhängigkeit und persönlicher Freiheit führen. In der Realität findet aber ein Auseinanderleben der Menschen und eine Umverteilung von unten nach oben bei flexiblem Arbeitseinsatz rund um den Globus, jedenfalls oftmals entfernt von der heimatlichen Scholle statt. Nicht das Bewusstsein, sondern das Geld bzw. Kapital bestimmt das Seín. Soziale Absicherung und Teilhabe sind vielfach nicht gegeben. Unter diesen Voraussetzungen gehen die Bindungen zwischen den Generationen und der gesellschaftliche Zusammenhalt immer mehr verloren. Es ist zuvorderst Aufgabe von Politik, diese Entwicklung umzukehren. Mit unseren Sozialprojekten beabsichtigen und erreichen wir zumindest regional ein gewisses Korrektiv, dass aber die fehlenden staatlichen Rahmenbedingungen nicht ersetzen kann. Mit den virtuellem Aktivitäten versuchen wir zudem, aufzuklären und das Bewusstsein der Menschen in eine menschlich lebenswerte Richtung zu lenken.

Helga König:  Ihr Team setzt sich u.a. für eine zukunftsfähige, sozialgerechte Bildung und Ausbildung junger Menschen ein. Wie könnte diese konkret aussehen? 

 Quelle:  Deutscher Nachhaltigkeitspreis
Helmut Baltrusch: Bildung und Ausbildung sind der einzige Rohstoff unseres Landes, den es zu hegen und pflegen gilt. Nur mit guter Bildung/Ausbildung können wir die Zukunft bestehen. Deutschland braucht eine abgestimmte Bildungspolitik zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Bildungsarmut, Integration, Fachkräftemangel. und demografischer Wandel lassen sich nicht mit Kleinstaaterei lösen. Bildung ist als staatliche Verantwortung für künftige Generationen zu verstehen, Nachhaltigkeit zu lernen als umfassendes gesellschaftliches Modernisierungskonzept. Daraus ergeben sich folgende Anforderungen: Bildungsarmut bekämpfen, Ausbildung von Schlüsselkompetenzen, gute Bildung für alle Menschen als staatliche Daseinsvorsorge, gebundene Ganztagsangebote mit anspruchsvollen pädagogischen Angeboten, bundesweite Standards für eine gute Qualität mit Aus- und Weiterbildung der Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Fördern statt Auslesen, spätere Aufteilung auf weiterführende Schulen, mit Ausbildung ohne Warteschleifen bessere Lebensperspektive schaffen, Hochschulen zu stärkeren Innovationsmotoren der Gesellschaft machen, mit lebenslangem Lernen Horizonte eröffnen, größere Wertschätzung der Beschäftigten des Bildungswesens durch die ganze Gesellschaft generieren. 

Die Mitglieder unseres Teams wirken daran als Lehrkräfte mit. Zudem beteiligen wir uns mit dem Schülerprojekt "Bildung + Wissen = Innovation" an der Erfüllung von Anforderungen an die Schule des Lebens heute und morgen. Mit diesem Projekt werden Studier- und Ausbildungsfähigkeit in der Oberstufe anforderungsgerecht durch Tests verbessert und die Abbrecherquote deutlich verringert, Schülerinnen und Schüler werden auf die Wissensgesellschaft vorbereitet. Ein anderes Projekt bezweckt die Förderung der Wirtschaft von Schulen und Schulmodellen, wie bspw. die Zusammenlegung von Mittel- und Oberstufe an Gymnasien. Diese Projekte sind in Arbeit.

 Helga König
Helga König: Worin bestehen nach Ihrer Ansicht die Hauptrisikofaktoren für ein nachhaltig lebenswertes Leben? 

Helmut Baltrusch: Die Nachhaltigkeitsentwicklung ist zuvorderst eine sozialpolitische. Hauptrisikofaktoren für ein nachhaltíg lebenswertes Leben sind v.a. das soziale Verhalten vieler, der übermäßige Konsum und Umweltverbrauch in den Industrie- und Schwellenländern, der die Lebensgrundlagen bis zur Unbewohnbarkeit der Erde in ca. 100 Jahren (Hawking) zerstört. 

Es gilt Werte, Standards, Anreize und Beispiele für alle Bürger und die Wirtschaft zu setzen, die zu einem einfachen, nachhaltigen, leistungsfähigen und erfüllendem Leben und Wirtschaften in eigener Regie führen. Das Forum Generationenzukunft zeigt Wege auf, die weg von der Wegwerfgesellschaft als ein Leben über den Verhältnissen führen. So gilt es, die klima-, umwelt-, natur-, ressourcen-, gesundheits- und tierschädigenden Emissionen und Gifte zu vermeiden zugunsten einer reparierenden, recylenden und langlebigen Lebens- und Wirtschaftsweise mit Bewahrung der Schöpfung in allen Lebensbereichen. 

Die Nachhaltigkeitsentwicklung ist in Verantwortung für künftige Generationen als umfassendes gesellschaftliches Modernisierungskonzept zu lernen und zu verstehen. Maßgeblich und verpflichtend für diese Entwicklung sind ethische Prinzipien wie die schonende Nutzung der Naturressourcen, soziale Gerechtigkeit, Verantwortung für künftige Generationen , globale Partnerschaft, eine andere Steuerung des sozialen Verhaltens, z.B. auch beim Thema Wohnen und Gesundheit, Berücksichtigung des Wertewandels und der Rolle der Frauen, Vernetzung von Zukunftsindikatoren einschl. der technologischen Entwicklung u.a.m. Diese Risikofaktoren gilt es künftig nachhaltig zu berücksichtigen.

Helga König: Sie werben u.a. für generationenübergreifendes Wohnen. Wie könnte dies konkret aussehen und welche Zugeständnisse der Generationen untereinander sind notwendig? 

  Helmut Baltrusch
Helmut Baltrusch: Das Mehrgenerationenwohnen ist als Chance zu begreifen, das Leben aller Alters- und gesellschaftlichen Gruppen solidarisch zu gestalten. Demografischer Wandel und ein wachsendes Bedürfnis nach Selbstbestimmung älterer Menschen lassen neue Wohnformen entstehen: Mehrgenerationenwohnen, Senioren-WG, Betreutes Wohnen oder auch die Anpassung der eigenen Wohnung gehören dazu. Gemeinschaftlich wohnen kann man als Senioren-WG,  als Wohngruppe, bei der jeder eine eigene Wohnung in einem gemeinsamen Wohnkomplex bewohnt oder als Mehrgenerationenmodell, bei dem Alt und Jung unter einem Dach leben. Das Stichwort heißt, selbstbestimmt wohnen innerhalb einer sozialen Gemeinschaft. Die Zugeständnisse der Generationen untereinander sind beim gemeinsamen Wohnen bei vorherigem Kennenlernen und Probewohnen begrenzt, wenn jeder Bewohner seinen persönlichen Rückzugsraum hat und selbst bestimmen kann, ob und wann er die Gemeinschaftsräume nutzen will oder auch nicht.

 Helga König
Helga König: Auch nachhaltiges Wirtschaften ist für Sie ein Thema. Was gibt es dazu zu sagen?

Helmut Baltrusch: Nachhaltiges Wirtschaften ist das A und O unserer Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität. In den Leistungsprozessen müssen die technischen Strukturen und Abläufe wieder in den natürlichen Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Es geht darum, langlebige Leistungen mittels wieder verwendbarer, recyclebarer Rohstoffe zu erbringen, zu vermarkten und wieder in den natürlichen Stoffkreislauf zu bringen. Das Zauberwort heißt: Kreislaufwirtschaft - ein Weg aus der Wegwerfgesellschaft und kohlenstoffbasierten Leistungserzeugung. 

Die Kreislaufwirtschaft ist nachhaltig bei der Ressourcennutzung, effizient, kosten- und CO2-sparend. Für die Unternehmen sind damit höhere Gewinnchancen verbunden. Würde die nachhaltige Wirtschaftsform EU-weit genutzt, könnten damit die Ressourcen-Produktivität um 30 % gesteigert werden, zwei Millionen Jobs zusätzlich entstehen, 600 Milliarden Euro Netto-Einsparungen und 2-4 % CO2-Emissions-Einsparungen erzielt werden.

Helga König: Haben die Menschen das Miteinander verlernt und falls ja, wie kann in kleinen Schritten geübt werden, wieder aufeinander zugehen? 

 Helmut Baltrusch 
Helmut Baltrusch: Das Miteinander für mehr Zusammenhalt, Integration, Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität lebt von der Begegnung, Bewegung und menschlichen Zuwendung. Diese Eigenschaften sind vielen Menschen aufgrund egoistischer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zwänge bei Werteverlust fremd geworden - das Hemd ist vielen näher als der Rock. Es geht um den Weg vom verbreiteten individuellen "Ich" zum solidarischen "Wir": Lernen kann man das Miteinander z.B. mittels Inklusion in der Schule. Aber auch mit freiwilligem Engagement in Vereinen wie der Nachbarschaftshilfe , Familien und Mehrgenerationenhäusern für Hilfsbedürftige kann das hilfreiche Wirken von Menschen für Menschen gute Beispiele geben. 

Das Forum Generationenzukunft hat im Terminkalender "Miteinander" z.B. folgende Veranstaltungen vorgemerkt: Alt und Jung sprechen miteinander, Alt und Jung tanzen, singen spielen miteinander, lädt ein zu den Themen: Kommune gemeinsam gestalten mit Beteiligung vor Ort, generationengerechtes Wohnen für alle Generationen, Entwicklung der Standortfaktoren für die Daseinsvorsorge, wie wollen wir 2030 leben, Energie der Zukunft im Alltag, was bedeutet Nachhaltigkeit in unserem Leben, lebensbegleitendes Lernen als Beschäftigungschance im Beruf, wie gestalte ich den Übergang zwischen Schule und Beruf sowie vom Beruf und in den Ruhestand, familienfreundliche Stadt zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie u.v.a.m für hilfswillige und hilfsbedürftige Menschen. Bekanntlich sind 30 Millionen Deutsche in gemeinnützigen Vereinen tätig, der größere Rest muss dafür noch gewonnen werden.

 Helga König
Helga König: Welche Möglichkeiten haben Ihre Follower in den sozialen Netzwerken, sich in Ihre wunderbaren Projekte einzubringen? 

Helmut Baltrusch:  Forum Generenrationenzukunft ist v.a. bei Twitter mit dem Account @Balelt41 und den Websites www.forum-generationenzukunft-de und www.forum-generationenwerkstatt.jimdo.com aktiv. Wir freuen uns über jeden gelikten/retweteten Tweet, Themenbeiträge und Beteiligung an den Projektthemen oder auch den Projekten selbst für projekt-kompetente User. Die Mitarbeit von Externen ist auch als Korrektiv zu unserer Projektarbeit gefragt. 

Helga König: Schlussendlich: Was bedeutet für Sie gelebte Toleranz? 

Helmut Baltrusch:  Grundsätzlich achte ich alle Meinungen, auch die, die von meiner eigenen abweichen. Das gilt auch für gegensätzliche Weltanschauungen. Probleme habe ich lediglich mit Toleranz gegenüber intoleranten Menschen.  

Lieber Helmut Baltrusch, besten Dank für das aufschlussreiche Gespräch.

Herzlich Helga König



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