Helga König im Gespräch mit der Theologin Magdalena Tepelmann

Liebe Magdalena Tepelmann, Sie sind  evangelische Theologin und haben vor Ihrer Pension als Pfarrerin gearbeitet. Seither sind Sie ehrenamtlich sehr engagiert und setzen sich für das Wohl Ihrer Mitmenschen ein. 

Helga König: Was bedeutet für Sie Seelsorge? 

 Magdalena Tepelmann
Magdalena Tepelmann: Seelsorge ist für mich ZUHÖREN,  DASEIN,  BEGLEITEN. Wie lange eine Begleitung dauert entscheide nicht ich. Ich habe viel gelernt von einer Gruppe mit "Verwaisten Eltern", die ihre Kinder verloren haben.Dort wurde auch öfters geschwiegen. Die Frage nach Gott und dem "Warum" wurde natürlich gestellt.Aber "Alles braucht seine Zeit". 

 Helga König
Helga König: Sie begleiten vier Flüchtlingsfamilien unweit von Crailsheim. Woher kommen diese Familien und welche seelischen Nöte bedrücken diese Menschen am meisten? 

Magdalena Tepelmann: Drei Familien bei uns im Ort kommen aus Syrien. Eine jesidische Familie aus dem Nord-Irak. Ich denke die größte Last ist die Ungewissheit ob sie wirklich hier in Deutschland bleiben dürfen. Sie haben alle die Wahlen verfolgt. Sie spüren wie sich die Stimmung hier und in Europa verändert. Auf der anderen Seite machen sie sich Sorgen um ihre Angehörigen in den Heimatländern. 

Helga König: Wie regieren die Flüchtlinge darauf, dass Sie als Helfende einer anderen Religion angehören? 

 Magdalena Tepelmann
Magdalena Tepelmann: Damit haben unsere Familien keinerlei Probleme.Eine syrische Familie sind Sufis. Sie kennen aus ihrem Heimatland Christen und Juden und haben dort mit ihnen respektvoll zusammengelebt. Die kurdisch/syrische Familie scheint ebenfalls christliche Bräuche zu kennen. Mit einer Flüchtlingsfrau habe ich in unserer Kirche zusammen gebetet, sie aus dem Koran ich aus der Bibel. Sie hat viele Angehörige in Rakka verloren. Die Klagegesänge des Joseph im Brunnen finden wir auch als Trostgesang im Islam. Die Jesiden haben sowieso keine Probleme mit den Christen, manche Elemente in ihrem Glauben kommen aus dem Christentum. Alle Familien kommen immer wieder zu uns in größerer Gottesdienste (Erntedankfest, Sommerfest, ökumenische Familien-Gottesdienste, Heiligabend, Gospelkonzert)

 Helga König
Helga König: Was unternehmen Sie konkret, um den Flüchtlingen im Alltag zur Seite zu stehen? 

Magdalena Tepelmann: Ich bin Teil eines Teams,  ich begleite nicht allein. Ich helfe insbesondere einer Flüchtlingsfrau die privaten Deutschunterricht bekommt und helfe ein bisschen mit. Ich begleite zum Arzt, frage nach ob in der Schule alles klappt und wie es mit dem Deutschkurs aussieht. Lamya Kaddor sagte einmal bei einer Veranstaltung in Crailsheim vor Kurzem es sei so wichtig gewesen, dass da stets eine Nachbarin ist, die einfach da war. Sie habe ihnen immer gesagt: Ihr seid hier willkommen! So sehe ich mich auch. Nur wenn man viel Zeit mit den Familien verbringt, gewinnt man ihr Vertrauen. 

Helga König: Haben die Kinder aus diesen Familien bereits Freundschaften mit Kindern deutscher Familien schließen können oder ist dies nach Ihren Beobachtungen sehr problematisch? 

 Magdalena Tepelmann
Magdalena  Tepelmann: Leider haben wir keine Schule mehr hier im Ort. Die Kinder sind nicht unbedingt mit den Kindern aus unserem Ort in der Klasse dabei. Das ist schade. Aber die Jungen spielen im Fußball und der eine Junge ist in der Jugendfeuerwehr, das eine Mädchen beim Sport. Doch ich denke da könnte noch mehr geschehen. Aber vielleicht weiß ich da auch nicht alles. 

Helga König: Flucht ist für Menschen stets traumatisch. Gibt es Auffälligkeiten speziell bei Kindern, etwa große Angst, die nach Ihrer Meinung psychologisch behandelt werden müsste? 

Magdalena Tepelmann:  Der kleine Sohn der einen Familie braucht spezielle Betreuung. Ich bin froh, dass das so schnell geklappt hat. Er kann jetzt den Kindergarten besuchen. Bei Erwachsenen zeigt es sich in massiver Migräne und Rückenproblemen. 

 Helga König
Helga König: Werden die Flüchtlingsfamilien von Rechtsradikalen bedroht? 

Magdalena Tepelmann: Bei uns nicht, obwohl der Anteil der AfD auch nicht gerade gering ist. Aber es gibt für Rechtsradikale hier keine Strukturen. Latent wird schon geschwätzt wie es hier heißt. Ellwangen ist nicht so weit weg, wenn auch nicht mehr so viele Geflüchtete dort sind. 

Helga König: Besteht ein großes Interesse die deutsche Sprache zu erlernen oder wird kein Sinn darin gesehen? 

 Magdalena Tepelmann
Magdalena Tepelmann: Unsere Familien sprechen inzwischen fast alle gut deutsch. Den älteren Migranten fällt es schwerer. Es liegt nicht am gutem Willen. Die zwei ältesten Söhne der einen Familie studieren sogar inzwischen in Ansbach. Die Brüder besuchen das Gymnasium. Das sagt schon alles.

Helga König: Haben Sie etwas über die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen in Erfahrung bringen können? 

Magdalena Tepelmann: Die syrischen Familien, die ich kenne, wollen unter keinen Umständen zurück in das Land von Assad. "Wir wissen nicht, wer Freund oder Feind ist". Außerdem haben sie alles verloren. Sie sehen im Moment ihre Zukunft hier. Die muslimischen Frauen wollen Deutsch lernen und eine Ausbildung machen und nicht ein Kind nach dem anderen in die Welt setzen. Ich betone das, weil ja viel anderes verbreitet wird. Es gibt sicher auch Ausnahmen. Für die Jesiden ist es anscheinend schon länger im Nord-Irak schwierig. Ich wusste nicht, dass es schon seit Jahrzehnten Jesiden in Deutschland gibt. Sie wollen bleiben und wünschen sich noch mehr Kontakte mit Deutschen. 

 Helga König
Helga König: Welche Hilfe bietet die evangelische Kirche den Flüchtlingen und steht man Ihnen seitens der Kirche in Ihrem Engagement bei? 

Magdalena Tepelmann: Wir haben schon mehrmals Mitarbeitertreffen für und mit unseren Flüchtlingsfamilien gehabt. Fast alle Helfer/innen kommen aus unserer Kirchengemeinde. Meine Nachfolgerin hat bei der Wohnungssuche geholfen und sie ist an der gleichen Schule wie die Flüchtlingskinder. Wir tauschen uns regelmäßig aus. Neben der Betreuung der Familien im Ort mache ich noch bei einem Spielenachmittag für Flüchtlingsmütter mit Kindern in Crailsheim mit und war auch bei einem Deutsch-Kurs für Mütter mit Kindern ebenfalls in Crailsheim über 6 Monate dabei. Ich kenne so manche Familie und insbesondere die Flüchtlingsfrauen. Ich stehe mit ihnen im Gespräch seit über 3 Jahren. Es sind starke Frauen!

Liebe Magdalena Tepelmann, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König

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